Flaschenkunde – Tradition wird großgeschrieben

Traditionsbrauerei Weihenstephan

In der Abfüllhalle der bayerischen Traditionsbrauerei Weihenstephan geht es laut zu. Tausende und Abertausende brauner Glasflaschen sausen durch die Maschine, stoßen klirrend aneinander. Die Charge Weißbier, die gerade abgefüllt wird, ist für die USA bestimmt. »The Worlds oldest Brewerie« steht auf dem Etikett. Die Amis lieben nicht nur Bier aus Bavaria, sondern alles, was alt ist. Oder zumindest alt aussieht.
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Tradition wird bei vielen deutschen Brauereien großgeschrieben. In den vergangenen Jahren sei ein regelrechter Wettkampf ausgebrochen, schreibt der Historiker Jörg Spengler im Jahrbuch der Gesellschaft für Geschichte des Brauwesens.

Gütezeichen

Mit einer Jahreszahl als »Gütezeichen« versuchen sich die Markenbrauereien vom Billig-Bier in den Supermärkten abzugrenzen und ihre höheren Preise zu rechtfertigen – je älter, desto besser.

Den Titel der »ältesten Brauerei der Welt« beansprucht unangefochten die Staatsbrauerei Weihenstephan. Sie liegt auf einer kleinen Anhöhe gegenüber der alten Bischofsstadt Freising bei München. Hier stand einst eine Benediktinerabtei. Mönche sollen bereits seit dem Jahr 1040 an diesem Ort Bier gebraut haben. Inzwischen handelt es sich aber um einen Regiebetrieb des Freistaates Bayern.

Als »älteste Klosterbrauerei der Welt« vermarktet sich die Brauerei des noch existenten Klosters Weltenburg bei Ingolstadt. Ebenfalls in Bayern liegt die Schlossbrauerei Herrngiersdorf, die als »älteste Privatbrauerei der Welt« firmiert. Damit nicht genug: Mit der Spitalbrauerei beherbergt Regensburg die »älteste Stiftungsbrauerei der Welt«. Und die kleine Privatbrauerei Zötler aus Rettenberg im Allgäu beansprucht das Prädikat des »ältesten Familienunternehmens in Deutschland«.

So viel Tradition sollte jedem Bierfreund schon vor dem ersten Schluck Ehrfurcht einflößen. Allerdings nimmt es die ein oder andere Brauerei mit den historischen Quellen nicht ganz so genau. Noch bis in die fünfziger Jahre hatte die Brauerei Weihenstephan ihre Gründung auf das Jahr 1146 datiert. Dann aber tauchte eine Urkunde auf, in der Bischof Otto I. von Freising das bisher in der Stadt ausgeübte Braurecht in das Kloster verlegt. Doch dieses angeblich aus dem Jahr 1040 stammende Dokument entlarvten Historiker später als plumpe Fälschung aus dem 17. Jahrhundert. »Definitiv belegt ist eine Brauerei in Weihenstephan erst durch die Erwähnung einer Konfirmationsurkunde von Kurfürst Ferdinand Maria aus dem Jahr 1675«, schreibt Spengler.

Die Staatsbrauer zeigen sich unbeeindruckt. Chefbraumeister Frank Peifer, der Touristengruppen aus aller Welt durch die Brauerei führt, glaubt sowieso, dass die Biertradition auf dem Klosterberg noch wesentlich älter sei. Er beruft sich auf Quellen, wonach bereits im Jahre 768 in der Nähe des Klosters ein Hopfengarten existiert habe. »Hopfen braucht man, um Bier zu brauen.« Es liege nahe, dass der hier angebaute Hopfen im Kloster verbraut wurde. Auf dem Gelände der Brauerei sind an verschiedenen Stellen sowohl das »alte« Gründungsjahr 1146 als auch das »neue« 1040 verewigt. Doch die meisten Besucher wollten es eh nicht so genau wissen, meint Peifer. Mit Ausnahme der Japaner. Die seien da sehr pingelig.

Legendär wurde in Historikerkreisen der Streit um das Gründungsdatum des Münchner Löwenbräu. Ein Journalist hatte um die Jahrhundertwende in alten Steuerbüchern entdeckt, dass 1383 im späteren Löwenbräu-Stammhaus in der Löwengrube ein »Erhart prewmaister« gewirkt haben soll. Seither ging die damals größte Brauerei Münchens, eine Aktiengesellschaft, mit dem ehrwürdigen Gründungsdatum hausieren. Bestätigt wurde das Ergebnis durch die Doktorarbeit eines gewissen Hermann Dihm, »pikanterweise«, wie Spengler schreibt, war er der Schwiegersohn des damaligen Löwenbräu-Generaldirektors. Angestoßen durch den Chef der konkurrierenden Spatenbrauerei, wurde der Fall Anfang der achtziger Jahre noch einmal aufgerollt. Dabei stellte sich heraus, dass der erwähnte »Erhart prewmaister« im benachbarten Augustiner Brauhaus beschäftigt war. Ein Braubetrieb im Löwenbräu Stammhaus, so das Urteil der Historiker, könne bis 1524 ausgeschlossen werden. Trotzdem prangt bis heute auf dem »Löwenbräu Urtyp« der Schriftzug »seit 1383«. Die Spatenbrauerei gibt sich in dieser Frage nicht mehr ganz so bierernst wie früher. Mittlerweile hat sie nämlich mit Löwenbräu eine gemeinsame Mutter: Beide gehören zur belgischen Anheuser-Busch-InBev-Gruppe – dem größten Bierkonzern der Welt. Und das ist fast so gut wie der älteste.

Textquelle: Zeit.de