Das Unglück hat einen Namen – North Brother Island

Im East River, zwischen der Bronx und Queens, liegt die kleine Insel North Brother Island. Auf ihr stehen mehrere Gebäude, doch die sind längst zugewuchert. Seit mehr als 50 Jahren ist die Insel verlassen, betreten darf sie niemand. Dennoch ist es einigen Fotografen gelungen, Aufnahmen von den zerfallenen Häusern zu machen. SOCIETYBLOG erzählt die düstere Geschichte von New Yorks verlassener Insel.

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Unheilvoll klingt allein schon die Lage der Insel: Das Hell Gate („Höllentor“) ist eine Meerenge im East River zwischen der Bronx und Queens, in der so gefährliche Strömungen herrschen, dass hier Ende des 19. Jahrhunderts Hunderte Schiffe sanken. Auch heute noch gilt dieser Teil des East River als besonders schwierig zu befahren.

Entdeckt wurden North Brother Island und die kleinere Schwester-Insel South Brother Island bereits im Jahr 1614. Wegen der Strömungen und tückischen Strudel im Fluss blieben die Inseln lange Zeit unbewohnt. 1885 dann entschied die Stadt, auf North Brother Island ein Quarantäne-Krankenhaus zu errichten, das Riverside Hospital. Im dicht besiedelten New York wüteten ansteckende Krankheiten wie Lepra, Tuberkulose, Pocken, Typhus und Kinderlähmung, damals oft mit tödlichem Verlauf. Der Standort der Insel schien perfekt: nah dran an der Stadt und durch das Wasser doch isoliert.

Schnell füllte sich das neue Krankenhaus, übernahm auch die Patienten aus einer anderen Quarantäne-Station. Nach wenigen Jahren platzte das Riverside Hospital aus allen Nähten, während einer Typhus-Welle in den 1890er-Jahren waren es mehr als 1200 Patienten, die wegen Platzmangels in Zelten außerhalb des Krankenhauses untergebracht waren. Die hygienischen Zustände damals müssen katastrophal gewesen sein, es mangelte an medizinischen Geräten und an Personal.

Schiffsunglück vor der Insel

Mitten in dieser ohnehin schwierigen Zeit passierte genau vor der Insel die bis heute schlimmste Schiffskatastrophe der USA: Am 15. Juni 1904 geriet der Raddampfer General Slocum bei einer Fahrt über den East River in Brand und sank. 1021 Menschen starben, die meisten von ihnen Frauen und Kinder aus New Yorks deutscher Einwanderer-Gemeinde. Viele ertranken in der starken Strömung des Flusses oder wurden vom Schaufelrad des Schiffes zermalmt. Man vermutet, dass die Zahl der Opfer sogar noch höher war, weil Kinder unter einem Jahr keinen Fahrschein brauchten. Das völlig ausgebrannte Schiff strandete schließlich auf North Brother Island. Das Personal des Riverside Hospital und die Patienten halfen bei der Rettung von Überlebenden und bildeten eine menschliche Kette zwischen Küste und Krankenhaus. Nur 321 Menschen überlebten das Unglück.

In die Schlagzeilen geriet North Brother Island wenige Jahre später erneut, als das Krankenhaus seine berühmteste Langzeitbewohnerin aufnahm. Mary Malloon, auch bekannt als „Typhus-Mary“, hatte jahrelang in New York als Köchin gearbeitet und unbemerkt mehr als 50 Menschen mit Typhus angesteckt. Das erste Mal kam die irische Einwanderin ab 1907 für drei Jahre in die Isolation nach North Brother Island. Als sie nach ihrer Entlassung erneut mehrere Menschen mit Typhus infizierte, verwies die New Yorker Gesundheitsbehörde sie auf Lebenszeit nach North Brother Island, wo sie schließlich 1938 an einer Lungenentzündung starb. Wenig später wurde das Krankenhaus geschlossen.

Drogenabhängige auf Entzug

Wenn Sie dachten, damit endet die bis hierhin schon mehr als düstere Geschichte der Insel, müssen wir Sie leider enttäuschen. Nach dem Zweiten Weltkrieg nutzte die Stadt North Brother Island zunächst für etwa sieben Jahre als Wohnprojekt für Kriegsveteranen, die in New York City studierten – dies war vielleicht die unbeschwerteste Zeit auf dem kleinen Eiland. Ab 1952 aber, so ist es in verschiedenen Quellen überliefert, gellten erneut markerschütternde Schreie aus den Gemäuern der Insel. Dieses Mal waren es keine Kranken, sondern junge Drogenabhängige, die man auf der isolierten Insel auf Entzug setzte – viele davon angeblich gegen ihren Willen. Heroinabhängige sollen so lange in den Klinikräumen eingesperrt worden sein, bis sie clean waren.

Doch das Drogenentzugsprogramm scheiterte, vermutlich, weil zu viele Patienten wieder rückfällig wurden. Auch von Korruption unter den Angestellten ist die Rede. Im Jahr 1964 schloss die Klinik für immer ihre Pforten. Mehr als 50 Jahre sind seitdem vergangen. 50 Jahre, in denen die Insel komplett sich selbst überlassen wurde. Obwohl der Zutritt streng verboten ist, ist es einigen Fotografen doch gelungen, auf die Insel zu kommen – entweder illegal oder mit einer selten vergebenen Sondergenehmigung der Stadt. Wie viele andere verlassene Orte auf der Welt strahlt auch North Brother Island einen besonderen Charme aus, der sich irgendwo zwischen Grusel und Faszination und bewegt. Die Fotos zeigen, wie die Gebäude mehr und mehr verfallen, die Böden und Wände sind von Moos bewachsen. Noch immer stehen hier die Möbel aus einer längst vergangenen Zeit, rostige Betten und verbogene Behandlungstische. Der Boden eines Zimmers ist komplett mit Büchern übersät. Am Zustand der Insel wird sich so schnell wohl nichts ändern. Dabei könnte man sich heute hier so einiges vorstellen. Zum Beispiel Führungen für New Yorker und Touristen, die mehr über die bewegte Geschichte des Eilandes wissen wollen. Oder aber ein hippes Hotel oder einen reichen Promi, der sich hier sein privates Domizil errichtet. Doch nichts dergleichen ist geplant. Die Stadt hüllt sich über die Vergangenheit und die Zukunft von North Brother Island in Schweigen – eine entsprechende Anfrage von Societyblog an den Bürgermeister von New York blieb bis heute unbeantwortet. Vielleicht spricht man nicht gerne über diesen düsteren Teil der Geschichte.

Bis auf Weiteres bleibt North Brother Island also unbewohnt und für die Öffentlichkeit gesperrt. Vielleicht ist das aber auch ganz gut so, denn etwas Positives gibt es von North Brother Island dann doch zu berichten: Begünstigt durch die geschützte Lage, die üppig wachsende Natur und die seltene Anwesenheit von Menschen hat sich inzwischen eine große Kolonie von Nachtreihern auf der Insel angesiedelt.

Bilder und Textquellen: Blogspot.com und Travelbook.com